20 Jahre FBDi – Distribution
im Wandel der Zeit
»Distribution / Supply Chain«

20 Jahre FBDi – Distribution im Wandel: »Distribution / Supply Chain«

Supply Chain im Umbruch

22. November 2023

Zwischen Wachstum und Heraus­for­derungen: Die Elek­tronik­industrie im Wandel

»Zwischen Wachstum und Herausforderungen: Die Elektronikindustrie im Wandel«
Andreas Falke, Geschäftsführer FBDi e.V.

Material- und Komponen­ten­eng­pässe sowie Probleme in der Lie­fer­kette hielten Unternehmen in 2022 und 2023 auf Trab. Wie sehen Sie die generelle Situation?

Ich frage mich, ob es richtig von Engpässen zu schreiben, wenn wir auf der anderen Seite ein solch massives Wachstum in Um­satz und in Stückzahlen zu vermelden hatten?

Schauen wir uns BtB des FBDi und die Um­satz­entwicklung an so müssen wir kon­sta­tie­ren, dass einige Bestellungen deutlich aus der Zukunft vorgezogene Bedarfe waren, die jetzt viele Läger füllen. In 2023 war der Um­satz in der Distribution und bei den OEM im 1. Halb­jahr noch deutlich über dem schon sensa­tio­nel­len Vorjahr aber im 2. Halbjahr sehen wir deutlich wie die Umsatz­ent­wick­lung dem nachlas­senden Auftragseingang Rechnung trägt. Trotz der Verlangsamung wird das Jahr auf dem Niveau des Vorjahres enden.

2024 hingegen wird nach meinem Dafür­hal­ten den berühmten »Unter­schwinger« unserer wil­den Achter­bahn­fahrt zeigen, in dem Aufträge und Lieferungen deutlich rück­läufig sind, weil viel Produktion aus dem Lager­bestand um­ge­setzt wird.

Für 2024 erwarte ich eine deutliche Kon­so­li­die­rung – aber die »Groß­wet­ter­lage« hält gegen­wärtig viele Überraschungen für uns bereit. Wer weiß, welches unvor­her­seh­bare Ereignis uns Auguren mit unseren Er­war­tun­gen mal wieder Lügen straft.

Welche Ereignisse können Ihre Erwartungen in Sachen Bauteile- und Materialverfügbarkeit denn so konterkarieren?

Selbst bei sinkender Nachfrage und zuneh­men­der Produktions­kapa­zität auf Herstel­lerseite sehen wir unkalkulierbare Einfluss­fak­toren, die Druck auf die Bauteil­ver­füg­bar­keit ausüben. Ressourcen­pro­bleme werden Liefer­ketten immer stärker unter Druck setzen.

Zuallererst werden wir durch zusätzliche Personal­pro­bleme auf allen Seiten Frikti­onen erfahren, die vom Entwickler bis zum Spe­dit­eur reichen. Weitere unkal­ku­lier­bare Einfluss­faktoren werden sich auf die Verfüg­bar­keit auswirken und die Preise wieder treiben – und hier rede ich nicht nur von Roh­stof­fen sondern auch von Sank­tio­nen, geo­poli­tischen Span­nungen und Umwelt­er­eig­nis­sen. Wir sollten uns befreien von der Idee, dass wir mit Re­chen­leis­tung, künstliche Intelligenz und Daten alles perfekt planen können, denn ganz offensichtlich entfernt sich unser kleiner Planet immer mehr vom Zustand »perfekt«.

Welche Schritte müssen Unter­neh­men gehen, um ihre Liefer­kette abzu­sichern? Müssen hier kom­plett neue Wege einge­schlagen werden?

JA!! – Die Frage ist welche – wenn ich da die 100%-ige Antwort hätte …

Eins ist sehr deutlich: Nicht nur in der Politik – wir müssen Ab­hängig­keiten re­du­zieren. In den zurückliegenden »goldenen Jahren« wurde alles ökonomisiert und verschlankt, um durch eine optimale Kostenstruktur Preis­füh­rer­schaft darstellen oder Erträge optimieren zu können.
Dieses Gedankenmodell muss sich nun einer Realität stellen, die eben nicht so Easy to Develop oder eben Easy to Produce wie Easy to Use ist. Sicher­heit gewinnt an Bedeutung: ‚No Risk – no Fun‘ ist jetzt Spruch eines Hasar­deurs, der wahr­schein­lich mit dem Rücken zur Wand steht.

Ganz unabhängig von dem Krisenmodus, in dem wir gegenwärtig lernen zu leben, ist die Zeitenwende auch eine Neu­orien­tie­rung – wer nicht mit der Zeit geht, der geht (ver­schwin­det) jetzt eben auch schneller vom Markt. Auf einmal ist wieder trans­parent, dass auch eine Liefer­kette nur so stark sein kann wie das schwächste Glied. Es wird notwendig über den Tel­ler­rand zu schauen und die Arbeits­para­digmen zu ver­än­dern. Koope­ration und Kom­muni­kation werden wichtiger!

Reduce to Max, also Kern­kom­petenz als Prinzip mit dem Ziel, billi­gere Teil­lö­sungen zuzu­kaufen, findet ein Ende (nicht auf­grund des Liefer­ketten­schutz­gesetzes) sondern wegen der Not­wen­dig­keit, leis­tungs­starke Partner auf Augen­höhe zu haben oder eben zu ent­wickeln.

Warum sollten Unternehmen ihr Obsoles­zenz­mana­ge­ment an­pas­sen und was sollten sie dabei be­rück­sich­tigen?

Entsprechend dem oben Gesagten muss man schon ganz vorne bei der Entwicklung an­set­zen, und Verfügbarkeit von Tech­no­lo­gie & Second Source schlägt Preis und »Over-The-Top-Performance«.

Wir haben uns zu lange in der Geborgen­heit eingerichtet, dass alles (be-)schaffbar ist; nun sehen wir ein, dass es nicht so einfach bleibt – vielleicht nie wirklich war. Schon die Pflich­ten­hefte sollten deutlich Verfügbarkeit, Second Source und ggfs. in kritischsten Bereichen Double Engineering vorschreiben, um Unwäg­bar­keiten mög­lichst flexibel be­geg­nen zu können. Und – um es mal deutlich zu sagen – das Ganze nicht wegen den Problemen, die wir vor­her­sehen, sondern genau wegen denen, die uns heute nicht einfallen.

Wie können Distributoren dabei unterstützen?

Distribution ist in diesem komplexen Markt der Schlüssel schlechthin, um eine situative Lieferkette zu designen, die entsprechend den individuellen Anfor­de­rungen der Markt­teil­nehmer optimiert ist. Der sichere Zugang zu den Her­stel­lern, den nur Distri­bu­toren mit einer Franchise haben, macht doch Logis­tik-Planungen und Informa­tions­aus­tausch über Neu­produkte oder Specs bis hin zu Verfüg­bar­keiten oder Lebens­zyklus erst möglich. Nur hier können die Kunden den Wert bekom­men, den sie in Zukunft immer stärker brauchen.

Das erfordert aber die oben be­reits er­wähn­te Ko­o­pe­ration, Kom­muni­kation, Nähe, Ver­ständ­nis und Vertrauen. Wer nur den besten Preis sucht und dann Grau­importe kauft, wird das irgend­wann sehr schmerz­haft ver­stehen: Echten Wert bekommt man nicht um­sonst. Der Slogan »Ich bin doch nicht blöd!« wird nicht um­sonst von der Wer­bung nicht mehr gesetzt – die Antwort lautet nämlich im­mer öfter »Doch!«

Mit welchen Herausforderungen sieht sich die Distribution kon­fron­tiert?

Gerade die Stärke der Distribution hat in den letzten Jahren gegen die Distribution ge­wirkt. Die Sicherheit aus­schließ­lich Original­ware direkt vom Hersteller zu liefern, hat dazu geführt, dass Importe vom Grau­markt über Broker ihren Markt bei den Kunden gefunden haben. Diese wun­derten sich, dass ihr Dis­tri­bu­tions­partner nicht liefern konnte. Oft hat hier ein Spot-Business das Image beschä­digt, das man sich mit komplexen Lo­gis­tik­kon­zepten – die i.d.R. deutlich besser bedient werden konnten – über Jahre auf­ge­baut hatte. Dieser Negativ­wahr­neh­mung müssen wir ent­ge­gen­wirken. Das bedeutet aber auch, dass wir unseren Mehr­wert verkaufen müssen. Gegenwärtig wird noch immer zu viel Value Added Service in den Kom­po­nenten-Preis inkludiert. Das ist nicht der richtige Weg, denn: »Was nichts kostet, ist nichts wert!«

Eine Initiative hierzu ist ein Round-Table, den der FBDi beginnend Ende März als Web-Konferenz für EMS und Mitglieder des FBDi einrichtet, in dem Key-Notes und Dis­kus­sio­nen ein besseres gegenseitiges Verständnis und klarere Sicht auf den Markt bringen soll. (*)
Die große Herausforderung wird aber ganz sicher in der weiteren poli­tischen, wirt­schaft­lichen und öko­lo­gischen Ent­wicklung liegen. In all diesen Be­rei­chen spielt Elek­tronik eine große Rolle als Ursache und /oder Lösungs­beitrag – bange ist mir nicht um die Arbeit, sondern um das not­wen­dige Per­so­nal, dass in allen Bereichen fehlen wird.

Welche Rolle werden Technologien wie künstliche Intelligenz in der Beschaffung von Bauteilen spielen?

Schon heute wird Künstliche Intelligenz (KI) in vielen Bereichen der Produktions- und Lo­gis­tik­pla­nung eingesetzt, oft noch als zartes Pflänzchen, das aber mit seinen Wurzeln in immer mehr Bereiche hi­nein­wächst – be­schleu­nigt sicher durch Engpässe bei der Verfüg­barkeit von Mit­ar­beitern. Aber Mög­lich­keiten und Qualität hängen von Struktur und Daten ab – hier ist der wichtige Schritt zur Digita­li­sierung und zur Vor­be­reitung für KI: Welche Sensoren habe ich, um Zustände zu erfassen und dann bearbeiten zu kön­nen?

Die Rolle der KI wird riesen­groß sein, die Frage wann ist die relevantere. Hier sehe ich große Unter­schiede, die nicht nur in der Inno­vations­kraft der Dis­tribu­toren be­gründet sind, son­dern auch in der Be­reit­schaft der Kunden und Liefe­ranten Daten zu erfas­sen und zu teilen …

Immer mehr Unternehmen bieten auch reine Softwareprodukte an. Wie bzw. in welcher Form neh­men Distri­bu­to­ren dieses Seg­ment in ihr An­ge­bot mit auf?

Zu dieser Frage habe ich mich im Bi-Weekly – der alle zwei Wochen statt­fin­den­den Web-Konferenz der Inhaber und Führungskräfte der FBDI Mitglieder – rückversichert, weil sie mir aus meiner Perspek­tive doch sehr dis­tri­bu­tions­fern schien. In der Tat sieht sich die Distri­bu­tion hier mehreren ent­ge­gen­ste­hen­den Aspekten kon­fron­tiert, die eigentlich nur sehr hard­ware­nahe Soft­ware als Produkte zum Vertrieb über Bau­ele­mente Distri­bu­tion zulassen.

Wahrnehmung und unter­schied­liche Bu­si­ness­mo­delle bis hin zu Haftung und Ver­trags­themen lassen neben der Quali­fi­kation der Mitarbeiter hier ein stärkeres Engage­ment der Distri­bution nicht zu. Größere Player erwarben und erwerben dann eher Spezialisten, um diesen Bereich in einer komplett losgelösten Division zu bedienen. Darüber hinaus werden Re­gu­lie­rungen aus dem Bereich der EU-Cyber­se­curity-An­for­de­rungen ein Übriges tun, der Bau­ele­mente Distri­bution den Markt­zu­gang zu er­schweren.

Aber wie bereits ausgeführt – es gibt mehr als genug für Distribution zu tun!
Auf jeder Hochzeit zu tanzen mag ja Spaß machen, aber jede Braut zu heiraten ver­bietet der gesunde Menschenverstand und das Gesetz.

Quelle: Basierend auf dem Interview mit der Computer & Automation 1/2023
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