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Achtung, sonst verpassen Sie die Normalität!

18. Juni 2024

»Achtung, sonst verpassen Sie die Normalität! «
Thomas Gerhardt, Managing Director GLYN, Vorstandsmitglied des FBDi e.V.

Die Achterbahn der Auftragslage: Strategisches Umdenken ist gefragt!

Viele Marktteilnehmer haben lange ge­glaubt, dass der Markt immer weiter sehr stark wächst. Die Argumente waren und sind ja auch gut. Digi­ta­li­sierung, Vernetzung, E-Mobilität, Energie­trans­for­ma­tion, um nur einige zu nennen. Die Liefer­zeiten waren auf über ein Jahr hoch­ge­schnellt. Die Auf­trags­bücher waren voll. Warum sollte man davon aus­gehen, dass das jäh enden könnte? Der Mensch denkt linear.

Aber heute wissen wir es besser.

Die Auftragseingänge waren nicht alles realer Bedarf, es waren auch viele vor­ge­zo­gene Be­stell­ungen dabei. Diese wie­de­rum haben zu länge­ren Lie­fer­zeiten ge­führt und diese erneut zu mehr Be­stel­lungen.

Der größte Teil der ge­lie­fer­ten Ware floss in die Lager­be­stände der sehr langen glo­balen Liefer­kette. Es wurde ge­hamstert. Und alle waren zu­tiefst davon über­zeugt, dass es ja schnell ab­flie­ßen würde, sobald die ‚Gol­dene Schraube‘ ge­liefert wird. Des­halb die gute Stim­mung und die hohe Bereit­schaft, vieles schon für sofort zu be­stellen.

Doch dann hat sich die Stim­mung gedreht. Aufträge wurden und werden re­duziert. Lager­bestände sollen nun ab­ge­baut, die zu knappe Li­qui­dität wieder auf­ge­baut werden. Diesem neuen Dik­tat wird ge­rade alles un­ter­ge­ordnet.

Und was passiert da nun überall?

Der Druck auf die Einkäufer ist hoch, mög­lichst schnell die Lager­be­stände zu re­duzieren. Bei welchen Artikeln geht das am bes­ten? Bei den High-Runnern.

Die Slow-Mover, also die zu viel be­stell­ten Artikel, be­we­gen sich natur­gemäß sehr »slow«. Es dauert viele Monate, ja viel­leicht Jahre, bis sie ab­ge­flos­sen sind. Das ist zu lange. Also werden die High-Runner nicht mehr nach­be­stellt, damit der Ge­samt­la­ger­bestand sinkt und die Li­qui­dität steigt.

Gleichzeitig berichten die Lie­fe­ranten von ebenso vollen ei­ge­nen Lagern, norma­li­sierten Liefer­zeiten, Über­ka­pa­zi­täten bei den Her­stel­lern und fal­len­den Preisen. Bei diesem Lage­bild wäre man ja schlecht be­raten, jetzt etwas zu ordern. Oder?

Verfolgt man jedoch die Presse der letzten Tage, fällt auf, dass die Nach­richten sich drehen.

Die Com­merz­bank titelt:
»Deutschland – Wende bei den Aufträgen?« Deren Volkswirte sehen »für die zweite Jahres­hälfte die Hoff­nung auf eine wieder hö­he­re Pro­duk­tion, die dazu bei­tra­gen sollte, dass auch die deutsche Wirt­schaft wieder ex­pan­diert.«

Das Ifo-Institut vermeldet für die Industrie:
»ein in den ver­gan­ge­nen Mo­naten deutlich zu­le­gen­des Geschäfts­klima.«

Der ZVEI-Chef-Volkswirt Dr. Andreas Gontermann sagt für seine Verbands­mitglieder:
»Sowohl die Be­ur­tei­lung der aktuellen Lage als auch die all­ge­meinen Geschäfts­er­war­tungen fallen besser aus als im Vor­monat. Auch die Ex­port­er­war­tungen zogen im Mai an.«

Der SPIEGEL berichtet:
»Bes­se­rung erwartet – Wirtschafts­forscher blicken zu­versicht­licher auf die Kon­junktur.«
… und:
»Die deutsche Wirt­schaft nimmt offen­bar lang­sam wieder Fahrt auf. Gleich mehrere Wirt­schafts­for­schungs­in­stitute haben ihre Prog­nosen im Ver­gleich zum Früh­jahr an­ge­hoben. Große Sprünge sind Kon­junktur­ex­perten zu­folge wei­ter­hin nicht drin, doch die deutsche Wirts­chaft arbeitet sich all­mählich aus der Krise heraus.«

Was also, wenn sich die Stimmung bald wieder auf­hellt? Und das wird sie!

Den meisten in der Lieferkette werden dann die High-Runner fehlen. Und die Lager bei ihren Lie­fe­ranten werden eben­falls bereits nor­ma­lisiert oder sogar ver­schwun­den sein. Auch Lie­fe­ranten müssen Lager ab­bauen und Li­qui­dität gewinnen.

Zu spe­ku­lieren, dass ja schon inner­halb kür­zes­ter Zeit ge­nü­gend Ware ver­füg­bar ist, wird sich als erneuter Trug­schluss er­weisen, nur dieses Mal anders­he­rum als damals in der Allo­ka­tion. Der Mensch denkt eben linear, auch in die ent­ge­gen­ge­setzte Richtung.

Eine große neue Allokation ist un­wahr­schein­lich. Aber normale Liefer­zeiten von – je nach Produkt – 12 bis 20 Wochen sind es sehr wohl. Und Letzteres ist immer­hin fast ein halbes Jahr.

Vermut­lich ist es daher bald so weit, mal wieder ein paar strate­gische Artikel lang­fristig zu den wieder ge­sunden Liefer­zeit zu ordern. Zum Beispiel mit einem neuen Rahmen­vertrag und Logistik­system. In nor­malen Zeiten fährt man damit de­fi­nitiv am besten.

Es wird Zeit, nach Eu­pho­rie und De­pres­sion wieder in die Nor­ma­lität ein­zu­schwenken. Wer zu lange damit wartet, muss wohl bald die üblichen Liefer­zeiten ab­warten und das dann seinen Kunden erklären.

Lesen Sie vom Autor auch den Artikel über Allokationen

© Bildrechte Th. Gerhardt

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