Achtung, sonst verpassen Sie die Normalität!
18. Juni 2024
Die Achterbahn der Auftragslage: Strategisches Umdenken ist gefragt!
Viele Marktteilnehmer haben lange geglaubt, dass der Markt immer weiter sehr stark wächst. Die Argumente waren und sind ja auch gut. Digitalisierung, Vernetzung, E-Mobilität, Energietransformation, um nur einige zu nennen. Die Lieferzeiten waren auf über ein Jahr hochgeschnellt. Die Auftragsbücher waren voll. Warum sollte man davon ausgehen, dass das jäh enden könnte? Der Mensch denkt linear.
Aber heute wissen wir es besser.
Die Auftragseingänge waren nicht alles realer Bedarf, es waren auch viele vorgezogene Bestellungen dabei. Diese wiederum haben zu längeren Lieferzeiten geführt und diese erneut zu mehr Bestellungen.
Der größte Teil der gelieferten Ware floss in die Lagerbestände der sehr langen globalen Lieferkette. Es wurde gehamstert. Und alle waren zutiefst davon überzeugt, dass es ja schnell abfließen würde, sobald die ‚Goldene Schraube‘ geliefert wird. Deshalb die gute Stimmung und die hohe Bereitschaft, vieles schon für sofort zu bestellen.
Doch dann hat sich die Stimmung gedreht. Aufträge wurden und werden reduziert. Lagerbestände sollen nun abgebaut, die zu knappe Liquidität wieder aufgebaut werden. Diesem neuen Diktat wird gerade alles untergeordnet.
Und was passiert da nun überall?
Der Druck auf die Einkäufer ist hoch, möglichst schnell die Lagerbestände zu reduzieren. Bei welchen Artikeln geht das am besten? Bei den High-Runnern.
Die Slow-Mover, also die zu viel bestellten Artikel, bewegen sich naturgemäß sehr »slow«. Es dauert viele Monate, ja vielleicht Jahre, bis sie abgeflossen sind. Das ist zu lange. Also werden die High-Runner nicht mehr nachbestellt, damit der Gesamtlagerbestand sinkt und die Liquidität steigt.
Gleichzeitig berichten die Lieferanten von ebenso vollen eigenen Lagern, normalisierten Lieferzeiten, Überkapazitäten bei den Herstellern und fallenden Preisen. Bei diesem Lagebild wäre man ja schlecht beraten, jetzt etwas zu ordern. Oder?
Verfolgt man jedoch die Presse der letzten Tage, fällt auf, dass die Nachrichten sich drehen.
Die Commerzbank titelt:
»Deutschland – Wende bei den Aufträgen?« Deren Volkswirte sehen »für die zweite Jahreshälfte die Hoffnung auf eine wieder höhere Produktion, die dazu beitragen sollte, dass auch die deutsche Wirtschaft wieder expandiert.«
Das Ifo-Institut vermeldet für die Industrie:
»ein in den vergangenen Monaten deutlich zulegendes Geschäftsklima.«
Der ZVEI-Chef-Volkswirt Dr. Andreas Gontermann sagt für seine Verbandsmitglieder:
»Sowohl die Beurteilung der aktuellen Lage als auch die allgemeinen Geschäftserwartungen fallen besser aus als im Vormonat. Auch die Exporterwartungen zogen im Mai an.«
Der SPIEGEL berichtet:
»Besserung erwartet – Wirtschaftsforscher blicken zuversichtlicher auf die Konjunktur.«
… und:
»Die deutsche Wirtschaft nimmt offenbar langsam wieder Fahrt auf. Gleich mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognosen im Vergleich zum Frühjahr angehoben. Große Sprünge sind Konjunkturexperten zufolge weiterhin nicht drin, doch die deutsche Wirtschaft arbeitet sich allmählich aus der Krise heraus.«
Was also, wenn sich die Stimmung bald wieder aufhellt? Und das wird sie!
Den meisten in der Lieferkette werden dann die High-Runner fehlen. Und die Lager bei ihren Lieferanten werden ebenfalls bereits normalisiert oder sogar verschwunden sein. Auch Lieferanten müssen Lager abbauen und Liquidität gewinnen.
Zu spekulieren, dass ja schon innerhalb kürzester Zeit genügend Ware verfügbar ist, wird sich als erneuter Trugschluss erweisen, nur dieses Mal andersherum als damals in der Allokation. Der Mensch denkt eben linear, auch in die entgegengesetzte Richtung.
Eine große neue Allokation ist unwahrscheinlich. Aber normale Lieferzeiten von – je nach Produkt – 12 bis 20 Wochen sind es sehr wohl. Und Letzteres ist immerhin fast ein halbes Jahr.
Vermutlich ist es daher bald so weit, mal wieder ein paar strategische Artikel langfristig zu den wieder gesunden Lieferzeit zu ordern. Zum Beispiel mit einem neuen Rahmenvertrag und Logistiksystem. In normalen Zeiten fährt man damit definitiv am besten.
Es wird Zeit, nach Euphorie und Depression wieder in die Normalität einzuschwenken. Wer zu lange damit wartet, muss wohl bald die üblichen Lieferzeiten abwarten und das dann seinen Kunden erklären.
Lesen Sie vom Autor auch den Artikel über Allokationen