Distribution ist immer schon eine »Effizienzmaschine« gewesen
28. Oktober 2025
Distribution bleibt Schlüssel zur Effizienz
 
  
      Quelle: computer-automation · Q3/2025
Andreas Falke, Geschäftsführer des FBDi e. V. im Gespräch mit Andrea Gillhuber
Beeinflusst der steigende Automatisierungsgrad, zu dem Unternehmen aufgrund von Fachkräftemangel gezwungen sind, die Nachfrage nach Komponenten?
Wir sehen den Weltmarkt elektronischer Bauelemente als einen stark wachsenden Markt mit einem Volumen von etwa 630 Mrd. US $ in 2024 (WSTS), der bis zum Jahr 2030 auf eine Billion US $ anwachsen wird. Digitalisierung und Automatisierung tragen im Zuge einer All Electric Society massiv dazu bei.
Stärkster Wachstumstreiber ist aber KI mit den benötigten Serverfarmen – sie definieren mittlerweile schon 21 % des Marktes (Yole). Dieses Wachstum findet nicht in Europa, sondern in den USA und China statt, was einen weiter schrumpfenden Weltmarktanteil in Europa zur Folge hat.
Gibt es technologische Trends, die die Versorgungssituation zukünftig verbessern könnten, etwa durch Recycling von Elektronik oder neue Fertigungskapazitäten in Europa?
Technologischer Fortschritt ist die DNA der Elektronikwelt – ich sage nur Moores Gesetz. Aber mit jeder Innovation folgt auch wieder eine Applikation, die auf einmal technologisch möglich oder wirtschaftlich machbar ist und manches Mal neue Versorgungsengpässe generiert; so wie jetzt KI den Markt beflügelt.
Recycling mag ein wichtiger Aspekt sein, aber eher wegen der Verknappung der Rohstoffe. Europa ist in hohem Maße abhängig von Rohstoffen aus Drittländern, die die EU auf ihrer Prioritätenliste nicht weit oben hat. Für den Wirtschaftsstandort Europa wird dies eine der strategisch kritischsten Herausforderungen der Zukunft sein.
Ich empfehle das Studium von RMIS, wo erkennbar ist, welche Rohstoffe die EU als strategisch kritisch einordnet und wie relevant Recycling für unsere Zukunft sein wird. Aber der Elektronikkomponentenmarkt findet nicht in Europa statt, so dass diese Diskussion eher akademischer Natur ist.
Welche langfristigen Veränderungen sehen Sie in den Beziehungen zwischen Herstellern und Distributoren als Reaktion auf die Lieferkettenproblematik?
Distribution wird in Europa für die Kunden wichtiger werden, da die Hersteller ihren Fokus auf die wenigen großen Player in den Hauptmärkten setzen. Low Volume & High Mix interessiert die Hersteller von Halbleitern nur peripher und Kunden werden tendenziell immer mehr an den Channel »Distribution« überstellt. Dies kann der Distribution paradoxerweise sogar Umsatzwachstum in einem bestenfalls aus heutiger Sicht stabilen Markt bescheren. Perspektivisch ist es aber für die Wirtschaft Europas wichtig, zwischen den großen Blöcken Wachstumsfelder zu definieren, die das Rückgrat einer stabilen Zukunft sein können. Wir sehen die All Electric Society mit vielen Lösungen, die eben nicht nur in Massenanwendungen, sondern in individuellen Ansätzen in Europa zu Hause sein könnten.
Wie können Unternehmen Risiken hinsichtlich Preisschwankungen und Lieferverzögerungen besser managen?
Erstens: Erkennen, dass die Risiken nicht eine Unbill des bösen Schicksals, sondern Teil des Geschäfts sind.
Zweitens: Partnerschaften im Bereich der Supply Chain aufbauen und nicht nur situativ aktuelle Bedarfe im Markt verhandeln. Die Komplexität der Supply-Chain nimmt gegenwärtig massiv zu – befeuert durch geopolitische Spannungen und Bedarfsentwicklungen, in Bereichen, die wir in Europa nicht wahrnehmen. Engpässe sehe ich gegenwärtig nicht, aber wenn eine KI-Applikation mit unerwarteten Verbräuchen den Markt leer saugt, sind wir beim Bull-Whip-Effekt am Ende der Kette.
Und drittens: Planen und Pläne kommunizieren.
Welche Trends beobachten Sie in der Zusammenarbeit zwischen Distributoren und Herstellern – bewegen wir uns zu engeren Partnerschaften oder bleiben Geschäftsbeziehungen transaktional?
Sie sprechen von dem Distributor und dem Hersteller – glücklicherweise gibt es ein differenzierteres Bild, mit verschiedenen Typen in beiden Kategorien. Entsprechend gibt es auch unterschiedlichste Partnerschaften – von »sehr eng strategisch« bis hin zu »transaktional« – was immer das Wort für jeden Einzelnen bedeuten mag. Ich denke, dass die rein transaktionalen Beziehungen deutlich auf dem Rückzug sind, da sie gleichbedeutend sind mit wenig Mehrwert und einfacher situativer Beschaffung.
In Europa sind wir zu teuer für billig, Mehrwert wird immer relevanter in der Zusammenarbeit; was leichtes, billiges findet in anderen Regionen statt – in hohen Stückzahlen. Wer sich auf die Beschaffung beschränkt, ohne auch die strategischen Aspekte der Kooperation zu adressieren, wird keine Vorteile für die Zukunft aufbauen können, die zu tragfähigen Konzepten und besserer Positionierung des egenen Unternehmens führen.
Wie wichtig ist der Aufbau regionaler Lieferketten und Fertigungskapazitäten für die Zukunftssicherung der Branche?
Ohne wird es in Europa nicht gehen je stärker die Deglobalisierung und Blockbildung voranschreitet.
Welche innovativen Services oder Technologien erwarten Sie in naher Zukunft, die Distributoren anbieten könnten, um Herstellern einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen?
Distribution ist immer schon eine Effizienzmaschine gewesen. Das ist der Grund warum Distribution trotz aller Unkenrufe Bestand hat und haben wird. Die Wettbewerbsvorteile ergeben sich aus den individuellen Bedürfnissen und Schnittstellen der Kunden. Die Anforderungen werden auch durch Regulierung immer höher. Denken wir an Gesetze wie den Cyber Resilience Act und die Auswirkungen auf Importeure und damit Distribution – es werden sich komplett neue Verpflichtungen auch in der Umsetzung ergeben, die Distribution in gewohnter Nonchalance sicherstellen wird.
Wie stark beeinflussen aktuelle Regularien wie REACH, RoHS oder das PFAS-Verbot die Elektronikbranche und speziell Hersteller von Automatisierungslösungen?
Sehr stark – erstmal geht es ja um Informationspflichten und dann um Stoffverbote. Einzelne Verbote mit Ausnahmeregelungen führen wegen ihrer Befristung zu nachhaltiger Forschung mit dem Ziel, zulässige Alternativen zu finden, da der Trend erkennbar ist, Ausnahmeregelungen auslaufen zu lassen und generell nur noch für spezifische Applikationen zu genehmigen. Der Grund hierfür ist insbesondere in der angestrebten Kreislaufwirtschaft der EU zu sehen.
In einem Verbotsverfahren – in meinen Augen ein Überschwinger – wollte man jetzt die komplette PFAS-Familie verbieten, da die »Ewigkeitschemikalie« sich über die Zeit akkumuliert. Bei einer Befragung der ECHA gab es 5.600 Eingaben zu dem Verbot dieser Familie.
In weiten Bereichen gibt es keine Alternative, so dass wir in den Competence Teams des FBDi davon ausgehen, dass es zu Ausnahmeregelungen kommen wird mit dem Ziel, insbesondere die Freisetzung von PFAS-Stoffen massiv einzudämmen. Dies ist auch der ECHA-Stellungnahme vom 20. Nov. 2024 zu entnehmen. Ein komplettes PFAS-Verbot ist nicht umsetzbar – die Einsicht scheint auch bei der EU und den Behörden angekommen zu sein.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Einhaltung dieser Vorgaben – insbesondere für mittelständische Unternehmen?
Dokumentation und Kommunikation binden immer mehr Kapazitäten, was gerade unseren Mittelstand massiv trifft. Wenn ich ohnehin kaum Fachkräfte finden kann, ist es ‚Pain in the Ass‘ um es mal deutlich zu sagen, wenn ich die hochqualifizierten Spezialisten abstellen muss für deutsches oder europäisches Reporting, das stellenweise auch noch redundant ist.
Wir haben bis Ende Januar mit dem FED und COGD einen Aufruf zum Bürokratieabbau gestartet, und hoffen auf breite Unterstützung. Dokumentation und Kommunikation binden enorm viele Kapazitäten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben oder wieder zu werden, müssen wir immer mehr Effizienz in die Lieferkette bringen. Bürokratieabbau tut not – Verstöße sollten zwar bestraft werden, aber es ist wichtig, aufzuhören, immer mehr Reporting- und Nachweispflichten zu entwickeln.
Welche Rolle spielen Distributoren bei der Unterstützung der Hersteller hinsichtlich der Einhaltung von Regularien?
Distribution erzeugt über die Vielzahl der Regularien Transparenz, die für Drittlands-Hersteller, die ihre Elektronik in der EU anbieten, nicht immer gegeben ist. Daneben übernehmen Distributoren die Informaionspflichten zu Substanz-Regulierungen wie etwa REACh und RoHS in der Lieferkette.
