20 Jahre FBDI Distribution
im Wandel der Zeit
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Zeitenwende ist sekundär

October 17, 2023

Von Gas bis Gallium: Wie kri­tische Roh­stoffe unsere Zu­kunft formen.

Medizintechnologie und die Rolle der Distribution
Andreas Falke, Geschäftsführung FBDi e.V.

Seit dem 24.Februar 2022 ist hochoffiziell, dass wir in der Phase einer Zeitenwende leben.

Dabei stellt sich deutlich die Frage nach dem wahren Grund für die Zeiten­wende. Ist es der Einmarsch Russlands in die Ukraine ge­we­sen, oder ist es die in diesem Moment offen­sicht­lich ge­wor­dene Blau­äugig­keit, von der wir uns ab­wen­den müssen?

Wir haben gelernt, dass die Verfüg­bar­keit der Res­source Gas, die uns jahre­lang güns­tige Energie und Wohl­stand be­schert hat, in hohem Maße von den Ent­schei­dungen eines Man­nes ab­hän­gig ist.

Unter Druck ist es gelungen Lö­sungen auf­zu­bauen – auch wenn wir noch lange nicht fertig sind.

Andere Ressourcen werden an der Stelle deutlich schwe­rer zu er­set­zen sein, da sie Grund­stoffe unserer Wirt­schaft sind, die nicht durch re­ge­ne­rati­ve Ener­gien er­setzt wer­den können.

Wir sprechen hier oft von Boden­schät­zen, weil sie wert­voll sind, weil sie in sich das Po­ten­tial tragen, der Wirt­schaft als Basis­ma­te­ria­lien bei der Pro­duk­tion die Her­stel­lung wett­be­werbs­fä­higer Pro­dukte zu er­mög­lichen.

Ohne diese Roh­stof­fe kann unsere Wirt­schaft nicht pro­du­zieren oder müsste Al­ter­na­tiven finden, die ihnen gleich ge­la­gerte Pro­duk­tion er­mög­licht. Das wird nur in Ein­zel­fäl­len durch tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt mög­lich sein.

Wir können nicht mehr verbrauchen, als wir haben.

Die Erkenntnis ist nicht neu. Wir alle kennen den Erd­über­las­tungs­tag (2023 in Deutsch­land am 04.Mai, in den USA schon am 13. März). Das Pro­blem hiermit ist: Wir kön­nen de­fi­ni­tiv nicht sagen, wann wir den Kredit aus der Zu­kunft zu­rück­zu­zah­len haben.

Für die Analyse und zur Unter­mau­e­rung politi­scher Ent­schei­dungen hat die EU ein Dash­board oder auch In­for­ma­tions­system »RMIS« (»raw materials infor­mation system«) auf­ge­baut, auf das auch der Bürger Zu­griff hat. Uns wird mehr als deut­lich vor Augen ge­führt, wie stark wir bei Roh­stoffen von anderen Län­dern abhängig sind.

87 relevante Roh­stoffe werden in dem RMIS ana­ly­siert und für Inte­res­sierte nach­voll­zieh­bar dar­gestellt.

Nur 37 Roh­stof­fe werden als un­kri­tisch an­ge­se­hen, hingegen 50 Roh­stoffe als »kritisch«, 25 wie­de­rum sogar als »strate­gisch kritisch« be­wer­tet.

In dieser Ana­lyse, datiert 16.03.2023, wird dann auch als kritischs­ter Rohstoff Gal­lium mit einer Ri­si­ko­be­wer­tung von 4,8 (max. 5) gesehen. Pas­sen­der­wei­se will China Gallium zu­sam­men mit Ger­ma­nium nur noch be­grenzt lie­fern bzw. wurde in­zwi­schen die Ausfuhr be­schränkt. Beide spie­len bei Zu­kunfts­tech­no­logien (u.a. Glas­faser­kabel, Halb­lei­ter, Solar­zellen) eine Schlüs­sel­rolle.

Diese beiden sel­te­nen Erden sind wenig be­ach­tete Roh­stof­fe, von denen wir aber wissen, dass sie zu weit über 80 % des Welt­markt­be­darf­es in China raf­fi­niert werden. Laufen wir also von einer Krise, von einer Ab­hän­gig­keit in die Nächste? Ja, es sieht so aus, nur lau­fen wir nicht – wir sind mitten­drin.

Aber es sind ja nicht nur die für uns so wich­ti­gen sel­te­nen Erden, bei denen China seine starke Po­si­tion nutzt, um den Druck im Kes­sel zu er­höhen.

Durch unsere Zeiten­wen­de werden wir von be­stimm­ten Roh­stof­fen weniger be­nö­ti­gen (fos­sile Energie­trä­ger), aber diese grö­ße­re Un­ab­häng­ig­keit sub­sti­tu­ieren wir durch höhere Ab­hängig­kei­ten an anderen Roh­stoff­märkten.

Denken wir zum Beispiel an Lithium – es ist einer der im »RMIS« der EU als »stra­te­gisch kritisch« mar­kier­ten Roh­stoffe, weil Elek­tro­mo­bi­li­tät ohne Li­thium in der Bat­terie­tech­nik heute nicht denk­bar ist.

Wenn immer mehr Ver­bren­ner durch E-Autos er­setzt werden, wird der Lithium-Be­darf der Mensch­heit ex­plo­die­ren. Die Mobil­kom­mu­ni­ka­tion tut ein Übri­ges dazu. Smart Phones, Tablets, Note­books – »Lithium inside«!

Laut einer Studie der Universität Leuven in Belgien droht der EU mit­tel­fris­tig ein Eng­pass bei der Ver­sor­gung mit Metal­len wie Lithium und Ko­balt.

Durch die schnel­lere glo­bale Energie­wende und den dadurch ex­trem stei­gen­den Be­darf im Ver­hält­nis zum Ab­bau der be­nö­tig­ten Me­talle könnte es ab 2030 zu welt­wei­ten Ver­sor­gungs­eng­päs­sen kommen. Europa selbst hat nur ein klei­nes Zeit­fenster, um seine hei­mi­sche Pro­duk­tion voran­zu­treiben. Ein großer Teil des eu­ro­päi­schen Metall­be­darfs müsste auch durch Re­cyc­ling ge­deckt werden.

Für Europa er­war­ten die For­scher, dass 35-mal mehr Lithium, sieben- bis 26-mal mehr Selten­erd­me­talle und 3,5-mal mehr Ko­balt be­nötigt werden, um bis 2050 nach­hal­tige Ener­gie zu er­zeu­gen und die EU klima­neu­tral zu machen.

In dem geopolitischen »Spiel«, das uns allen deut­licher vor Augen tritt, erken­nen wir, dass wir unsere Zu­kunft nicht au­tark pla­nen kön­nen, sondern wie sehr wir – und unsere Wirt­schaft – vom Ver­hal­ten an­de­rer ab­hän­gig sind. Dumm, dass diese uns nicht unbedingt als Priorität ansehen.

Erschrocken stellen wir fest, dass gerade jene dann auch noch vo­raus­schau­en­der und cle­ve­rer unter­wegs waren, als die Michels aus dem Wirt­schafts­wun­der­land, die selig schlum­merten, als andere pers­pek­ti­visch wich­tige Partner auf­bauten, drüben hinter den 7 Ber­gen, wo Roh­stoffe reich im Bo­den liegen.

Nicht allein wegen der steigenden Welt­be­völ­ke­rung wird der wach­sen­de Be­darf an Roh­stoffen nicht mehr li­near in unserem er­folg­reichen, weil bil­li­gen Modell der Line­aren Wirt­schaft ge­deckt und danach ver­schwen­det werden kön­nen, getreu dem Motto »Take-Make-Dispose«.

In Zukunft müs­sen wir uns wohl das Kreis­lauf­modell der Natur für unsere Wirt­schaft zu eigen machen, wir haben gar keine andere Chance. Aber gerade darin liegen auch wieder Zu­kunfts­pers­pek­ti­ven für neue Wirt­schafts­zwei­ge und -mo­delle. Dies gilt ins­be­son­dere für die, die sich nicht zu schade sind, mal über Re-Use, Re­cycle und Re­ge­ne­rativ als (Mehr-)Wert nach­zu­denken.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Wir könnten uns un­ab­hän­giger machen, unser Ab­fall­auf­kommen re­du­zieren, die Um­welt schützen und neue Tech­no­lo­gien ent­wickeln, die als Basis eines neuen Wirt­schafts­wachs­tums dienen könnten, weil überall Bedarf an diesem Know-how sein wird. Dieses Inno­vations­po­ten­zial, ge­mein­sam mit der re­du­zierten Ab­hängig­keit, sollte uns alleine schon Moti­va­tion genug sein.

Aber auch das Klima drängt – ganz zu schwei­gen davon, dass mancher Roh­stoff in einer Art und Weise ge­schürft wird, dass Lie­fer­ketten­sorg­falts­pflich­ten die Ent­deckung anderer Be­zugs­quellen noch rat­sa­mer er­schei­nen lassen.

Es passt, dass in Deutsch­lands größ­tem End­lager für Sonder­müll in­zwi­schen immer öfter Sonder­müll aus dem Salz­stock 600 m unter der Erde aus­ge­la­gert wird, weil wert­volle Roh­stoffe darin ent­halt­en sind. Ist es in­zwi­schen schon güns­ti­ger, Sonder­müll zu re­cy­celn als Roh­stoffe neu zu kau­fen? Ich denke, das ist heute noch nicht so, aber sehe darum den Ver­such genau in diese Rich­tung und damit in die Zukunft zu in­ves­tie­ren. Evolution schützt vor Revolution?!

Albert Einstein wusste: »Es ist ein Zeichen von Wahn­sinn immer das Glei­che zu tun und an­dere Er­geb­nis­se zu er­warten.«

Es ist definitv nötig vieles anders zu tun, aber auch das sehr klar und ver­bind­lich zu kom­mu­ni­zieren. Ver­än­de­rung schürt Angst vor Ver­lust, aber keine Ver­än­de­rung wäre rui­nös. Hoffent­lich schafft es unsere Re­gie­rung dies­mal, das so Wich­tige recht­zeitig und richtig zu ver­mit­teln und die po­si­ti­ven As­pek­te heraus­zu­strei­chen, statt Wäh­ler aus Angst vor Ver­lust zu den fal­schen Pro­phe­ten zu treiben.

Merke: Wir sind immer bes­ser, als wir be­für­chten, wenn wir wol­len, was wir kön­nen.

[1] Country Overshoot Days 2023 – Earth Overshoot Day
[2] RMIS – Raw Materials Information System (europa.eu)
[3] Schon ab 2030 drohen globale Lithium-Engpässe – Recycling wäre ein Ausweg - Technik - derStandard.de › Wissen und Gesellschaft
[4] Elektromobilität - Rohstoffbedarf in der EU 2030 | Statista

© Credits, SMD.

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