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Von Carmageddon und Crazy Rich Americans

October 27, 2025

Ausblick für die Distrtibution – und darüber hinaus

Georg Steinberger (1959–2025): Über KI, Halbleiter, Automobilkrise und Europas schwindende Rolle im globalen Technologiemarkt.
Georg Steinberger (†), ehem. Vorstandsvorsitzender des FBDi (2003–2025)

Quelle: Markt & Technik · 01/2025
Meinung von Georg Steinberger (1959–2025), Redaktion

Von unserer kleinen Distri­bu­tions­welt aus betrachtet, sieht der der­zei­tige Markt ungefähr so aus:

Nach der großen Knappheit sind die Läger voll (immer noch), die Nachfrage bleibt schwach. Kein Wunder also, dass 2024 zum Jahr der Marktkorrektur wurde und unsere langfristigen Wachstumsträume wieder auf den Boden der Realität geholt hat. So weit, so schlecht, und die Marktkorrektur könnte jetzt auch langsam wieder gehen.

Moment mal, war es nicht gerade so, dass die längerfristigen Chancen Europas gar nicht so schlecht waren?

Schließlich sind wir stark bei den neuen Sternen am Halbleiterhimmel, Automotive und Indus­trial. Vor über zwei Jahren kons­ta­tierte McKinsey diesen beiden Seg­men­ten über­durch­schnitt­liches, zwei­stel­liges Wachs­tum im Halb­leiter­ver­brauch und -umsatz, deut­lich stärker als Com­pu­ting und Kom­mu­ni­kation, mit einer Ver­dopp­lung bis 2030. Hervorr­a­gende Aus­sichten für Europa und auch die Distribution, schließ­lich sind wir hier stark.

Bis 2030 ist es noch ein wenig hin, aber die Richtung zu den künftigen Honig­töpfen wird schon stimmen, Markt­kor­rektur hin oder her?

Nö. Nicht. Nein. Auf keinen Fall. Wenn 2024 etwas be­wie­sen hat, dann diese zwei Dinge (es waren natürlich mehr, aber seien wir mal für einen Moment wählerisch): Computer und Kom­mu­ni­kation bleiben die do­mi­nan­ten Ver­braucher von Halb­leiter, mit den Er­for­der­nis­sen der Künstlichen Intelli­genz umso mehr. Zweitens, Auto­motive und Indus­trial werden die Com­pu­ter­in­dustrie besten­falls in einem schlechten Jahr out­per­formen, und das nur relativ.

Klar, batteriegetriebene Elektroauto (BEVs) brauchen mehr Halb­leiter, und klar, mit dem autonomen Fahren ist mehr Intel­ligenz und Prozes­sor­leistung an Bord der mo­dernen BEVs. Man kann das bereits en masse beo­bachten – in China. Natürlich hat die chine­si­sche Re­gie­rung mit ihren dicken Spendier­hosen etwas nach­ge­holfen, aber Kudos für die chine­si­schen Her­steller für ihre Krea­ti­vität und ihren Mut zur Dis­ru­ption, ohne die Bürden der Ver­gangen­heit und der Selbst­zu­frieden­heit. Um einen ehema­ligen US-Präsi­den­ten frei zu zitieren: »It’s the software, stupid!« Man könnte auch sagen: »It’s the customer, stupid!«

Und was sich trotz über­le­gener Soft­ware und Benutzer­freund­lich­keit nicht ver­kau­fen lässt, da kann der un­schlag­bare Preis helfen.

China plant die Ver­ab­schie­dung der Ver­bren­ner­motoren schneller als alle anderen großen Wirt­schafts­re­gionen und ist bereit für den weltweiten Export ihres Erfolgs­mo­dells, Lade­sta­tionen und Photo­voltaik inklusive.

Und Europa? Die europäischen, noch besser, die deutschen Auto­her­steller erleben mit ihren Ver­bren­nern und auch mit ihren Elek­tro­autos (es fehlt nebst anderen heute zwin­gend notwendigen Features der Reis­kocher und das Heimkino) gerade einen geschichts­träch­tigen Pushback im größten Automarkt der Welt, China. Das kann man in einem rezes­siven Heim­markt Europa nicht kom­pen­sieren, der zudem ver­un­sichert wird durch Lobbyisten, die immer noch nicht ans Ver­bren­ner-Aus glauben. Der Automarkt in Europa stagniert 2024, nach Re­kord­ver­käufen im letzten Jahr, so jedenfalls sieht es das Bran­chen­portal Marklines. Schlimmer noch, der Wechsel zu Elek­tro­autos geht viel zu lang­sam, um allein die Flotten­vorgaben der EU einzuhalten, geschweige denn eine Markt­dy­namik zu entfalten. Einher mit der schlep­penden Kon­junktur geht die Ver­braucher­zurück­hal­tung, es fehlen die er­schwing­lichen BEV-Modelle. Keine Autos, keine Halbleiter.

Der weltweite Halbleiterverbrauch nach Regionen  sowie nach Produktgruppen. (Quelle: WSTS)

Ähnlich wenig Dynamik zeigt sich im Markt der Industrieelektronik

Aus teils vergleich­baren, teils an­deren Gründen, Export­schwäche, Billig­kon­kur­renz inklusive. Die jüngsten Daten des Zen­tral­ver­bands der Elek­tro­nik­industrie (ZVEI) las­sen nichts Gutes er­ahnen.

Angesichts dieser Entwicklungen – von der Markt­korrektur bis zu den syste­mischen Schwächen von Schlüssel­industrien – kann es nicht überraschen, dass der Halb­leiter­ver­brauch in Europa zurückgeht. Die World Semi-conductor Trade Statistics (WSTS) korrigierte in ihrem jüngsten Forecast die Zahlen für Eu-ropa auf -6,7 % für 2024 und +3 % für 2025. Das entspricht einem Markt­volumen von 52 Milliarden bzw. 54 Mil­liar­den US-Dollar. Der Fore­cast von Mai 2024 ging noch von 60 Mil-liarden US-Dollar aus.

Das Problem auch mit den korri­gier­ten Er­wart­ungen: Sie sind zu hoch. Warum?

Erstens, wenn die Distribution, die ungefähr ein Drittel des Marktes ausmacht, heuer um 30 % ein­bricht, müsste der direkte Markt der Her­stel­ler mit den End­kun­den um 7 % wachsen, um die Delle, die durch die Dis­tri­bu­tion ge­ris­sen wird, auf jene -6,7 % zu be­grenzen.

Zweitens, ange­sichts des dro­hen­den »Carma­ged­don« (Einbruch der Auto­in­dus­trie) und der Schwäche in der In­dus­trie ist mir schleier­haft, wo die +3 % für nächs­tes Jahr her­kommen sollen.

Währungseffekte? Well … ich könnte hier ewig weiter lästern, aber das erklärte nicht, worauf ich eigentlich hinaus will. Und ja, die Schwäche einiger deutscher Her­stel­ler in China sagt noch nicht viel über den euro­päi­schen Automarkt.

Vielleicht entwickelt sich dieser in 2025 über­raschend anders, vielleicht entdecken die Deutschen mit Unter­stützung der Bild-Zeitung doch noch ihre Liebe zu deutschen Elektro­autos (ohne Reis­kocher und Heimkino) oder vielleicht ver­kaufen sich wieder mehr Ver­brenner (natürlich erst, nach­dem die Mit­ar­beiter und Zu­lie­ferer der Auto­kon­zerne in Spar­runden geblutet haben).

Wenn wir nochmal zu den WSTS-Zahlen zu­rück­kom­men und sie etwas anders be­trach­ten, dann sinkt Europas An­teil am welt­weiten Halb­leiter­ver­brauch weiter, von 10,5 % in 2023 zu 8,3 % in 2024 und 7,7 % in 2025, vo­raus­ge­setzt wir er­reichen die fan­tas­ti­schen 3 % Wachs­tum in 2025.

Zu Beginn meines Arbeitslebens, im Jahr 1987, lag Europas Anteil bei über 20 %. Zur gleichen Zeit entwickelt sich der Anteil des ame­ri­ka­nischen Marktes, der vor knapp 40 Jahren über 40 % betrug und danach durch Out­sour­cing verlor, wieder positiv, von 25 % in 2023 zu über 30 % in 2025.

Wir alle wissen, was diese Renaissance treibt: GPUs und Hoch­leis­tungs­speicher für den KI-Markt. Allein 2024 wurde das Seg­ment der Data Center Server, den die ameri­ka­ni­schen Tech-Riesen beherrschen, zum größten Halbleiter­kon­su­menten (in Wert, nicht in Stück­zahlen). Server lassen sowohl die Mobil­kom­mu­nikation, Tablets und Note­books hinter sich und ver­zwer­gen die Stärken der euro­päischen Industrie.

Brechen wir das herunter auf die Unter­neh­mens­ebene (danke, Semicon­ductor Intelli­gence), so sind die großen Gewinner des Jahres 2024 (und wahr­schein­lich auch 2025) Nvidia, Broadcom, Qualcomm, AMD und Micron – alles US-Firmen – ergänzt durch den korea­nischen HBM-Shooting-Star SK Hynix. In ihren letzten Quartals­berichten zitieren sie den gleichen Grund für ihren Erfolg: starke Nach­frage nach KI-Servern. Die anderen Top-Player – TI, Infineon, ST, NXP und Renesas – dage­gen gaben eher düstere Aus­blicke, ebenfalls unisono aus dem gleichen Grund: Lager­kor­rek­turen und schwache Nach­frage aus der Auto­mobil­branche.

Wem der nackte Blick auf den Halbleitermarkt nach Verbrauch zu ein­dimen­sional ist, dem sei gesagt, das ist die Rea­lität des Marktes. Aber schauen wir auf einen anderen Aspekt: Owner­ship von geis­tigem Eigen­tum in der Halb­leiter­branche.

Auch hier beherrschen US-Unternehmen den Markt, mit einem Anteil von 40 bis 50 %. Wenn es diese »japanische« Firma mit britischen Wurzeln namens ARM nicht gäbe – verzeihen Sie den Sarkas­mus –, würde es für Europas Rolle im Halb­leiter­markt noch übler aussehen.

Zusammengefasst ist Europa bei Halb­leiter-IP fürs KI-Zeitalter nicht wett­be­werbs­fähig.

Wir nehmen weder am Computer- und Kom­muni­ka­tions­markt teil, noch be­schäfti­gen wir uns auf Augen­höhe mit Themen wie Quanten­com­puting. Glaubt man Yole Intelligence, dann wird der dereinstige Billionen­markt Halb­leiter zu zwei Dritteln von Super­pro­zes­soren und Super­spei­chern beherrscht, entwickelt von ameri­ka­nischen und korea­ni­schen Unter­neh­men (In der Ferti­gung spielt auch TSMC eine ent­schei­dende Rolle, aber das ist eine andere Geschichte). Europa kauft seine KI-Server, so wie wir denn ihre An­wendung ver­stehen, in den USA. Und wir sind dann wahr­schein­lich immer noch damit be­schäf­tigt heraus­zu­finden, wie die Chinesen mo­der­nere Elektro­autos für 20.000 Euro bauen als das alte Europa.

Die letzten Jahre diskutierten wir voller Enthusiasmus den Europäischen Chips Act.

Zwei geplatzte Fabs (Intel und Wolfspeed) später finde ich immer noch, dass der starke Fokus auf Fertigung falsch ist. Wer braucht 20 % der Welt­pro­duk­tion, wenn sie einem nicht gehört, sondern US- und taiwanischen Unternehmen, und wenn der gesamte Halb­leiter­verbrauch in Europa gen 5 % marschiert? Und wenn sich der euro­päi­sche IP-Fokus im inter­na­tio­nalen Vergleich auf Nischen­seg­mente stützt? Gäbe es kein SAP, unsere Bedeutung in der Business-IT-Welt tendierte gegen Null.

Europa läuft auf Microsoft, Google, Amazon und Apple. Wir sind heute von ameri­ka­ni­scher Hard- und Soft­ware ab­hän­giger, als Deutsch­land von rus­si­schem Gas war oder von chine­si­schen Batterien ist. Apple und Micros­oft haben Unter­neh­mens­werte, die ver­dächtig nahe ans deutsche BIP heran­reichen. Teslas Unter­neh­mens­wert übertrifft den der rest­lichen Auto­in­dustrie welt­weit – zu­sammen!

Es gibt immer mehr US-Unternehmen mit Kohle zum Abwinken (frei übersetzt: crazy rich), die nahezu machen können, was sie wollen. Und sie scheinen den Schlüssel für die Zukunft in der Hand zu halten. Wenn Europa in dieser Zukunft auch nur irgendeine entfernt wichtige Rolle spielen will, dann müssen wir uns neu denken, weit über den Report von Mario Draghi hinaus und weit über das hinaus, was unsere »alten« Industrien in der Lage sind zu liefern.

Wer bis hierher gelesen hat, wird spätestens jetzt abwinken – und müsste dann auch damit zufrieden sein, dass unser Kom­po­nen­ten­markt und unsere High-Tech-Indus­trien suk­zes­sive zur Be­deu­tungs­losig­keit erodieren.

Die Alternative ist eine neue Inno­va­tions­kultur mit mehr Fokus auf zu­kunfts­träch­tige IP und mit dem Mut zur Disruption. (zü) ■

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